Menschenhandel in Deutschland
Bundeslagebild 2022 zeigt starken Anstieg der Verfahren bei sexueller Ausbeutung und Arbeitsausbeutung
Am 11. September 2023 wurde das Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2022 vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlicht. Dieses zeigt die Erkenntnisse zur aktuellen Lage und Entwicklung in Deutschland hinsichtlich Menschenhandel und Ausbeutung auf.
Nachfolgend haben wir für Sie die auffälligsten Erkenntnisse zusammengefasst:
Sexuelle Ausbeutung häufig durch „Lover-Methode“
Mit insgesamt 346 Verfahren wurde ein starker Anstieg im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aufgezeichnet (Vgl. Vorjahr 2021: 291; +18,9 %). Betrachtet wurden hierbei verschiedene Strafnormen: Menschenhandel, Zwangsprostitution, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung, Ausbeutung von Prostituierten sowie Zuhälterei. In 199 Verfahren wurde wegen Verdacht auf Zwangsprostitution ermittelt. Grund für den starken Anstieg der Ermittlungsverfahren im Vergleich zum Vorjahr sei unter anderem, dass verschiedene Bundesländer (z. B. Niedersachsen und Rheinland-Pfalz) größere Ermittlungskomplexe abgeschlossen haben, so das BKA.
Insgesamt belief sich die Zahl der Opfer in den abgeschlossenen Verfahren im Bereich des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung auf 476. Dies entspricht einen Anstieg von 14,1 % zum Vorjahr (2021: 417). Die deutliche Mehrheit (95,2 %) der Opfer war weiblich. Der Anteil der Opfer mit europäischer Herkunft ist mit 68,3 % leicht gesunken (2021: 71,7 %). Fast ein Viertel der Opfer war asiatischer Herkunft (23,7 %).
Wie auch im Vorjahr war der häufigste Modus Operandi die sogenannte „Lover-Methode“. Hierbei führt der Täter sein meist junges, weibliches Opfer zur Prostitution, indem er zuerst eine Liebesbeziehung vorspielt, sein Opfer in eine emotionale Abhängigkeit bringt, um es schließlich finanziell auszubeuten. Die Anzahl der festgestellten Tatverdächtigen wegen Verdachts des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung belief sich im Berichtsjahr auf 488 (2021: 391). Knapp ein Drittel dieser (31,7 %) waren deutsche Staatsangehörige.
Arbeitsausbeutung oft in Fleischindustrie und Logistik
Im Bereich der Arbeitsausbeutung wurden insgesamt in 34 Verfahren ermittelt (+21,4 % zum Vorjahr). Dies entspricht einem Höchststand im Fünf-Jahres-Vergleich (2018-2022). Besonders auffällig ist die hohe Zahl der registrierten Opfer in diesen Verfahren: Insgesamt wurden 1.019 Opfer registriert, welches einen Anstieg von +593,2% entspricht. Grund dafür waren zwei abgeschlossene Großverfahren mit mehreren Hunderten von Opfern. Die Mehrheit der Opfer wurden bei Hilfsarbeiten in der Fleischindustrie sowie in der Logistikbranche ausgebeutet.
Ausbeutung von Minderjährigen
Die Anzahl an Verfahren mit Verdacht auf Ausbeutung von Minderjährigen ist im Vergleich zum Vorjahr um -27,8 % gesunken (2022: 171; 2021: 237). Im Jahr 2021 gab es jedoch überdurchschnittlich viele Verfahren. Die Anzahl aus 2022 ist nun somit wieder auf dem Niveau vom 2020 (178 Verfahren). Auch in diesem Berichtsjahr ging es bei der Mehrheit der Verfahren (91,2 %) um kommerzielle, sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen.
Wie sieht die Lage in Europa aus?
Die neuesten Zahlen hinsichtlich Menschenhandel in Europa beziehen sich auf das Berichtsjahr 2021. In diesem Jahr gab es laut offiziellen Zahlen der Europäischen Union einen 10%igen Anstieg der registrierten Opfer von Menschenhandel (2020: 6.534; 2021: 7.155). Wie auch in Deutschland war die am häufigsten vorkommende Form von Menschenhandel in der EU die sexuelle Ausbeutung, bei der die Mehrheit der Opfer (68 %) weiblich waren. Arbeitsausbeutung war die zweit häufigste Form von Menschenhandel in der EU, welche stetig ansteigt. Mit Blick auf die Opfer von Arbeitsausbeutung in der EU zeigen die Zahlen, dass rund 35 % der Opfer im Jahr 2021 minderjährig und 41 % keine EU-Bürger waren.
In der EU sowie auch einschließlich in Deutschland muss im Bereich des Menschenhandels jedoch von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Da Tatverdächtige häufig international agieren, bedarf es für die erfolgreiche Bekämpfung von Menschenhandel und Ausbeutung eine enge, polizeiliche Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Außerdem ist eine starke Kooperation aller Akteure im Bereich der Strafverfolgung, Justiz und Fachberatungsstellen entscheidend.
Im Rahmen der 11. Zürcher Tagung zur Geldwäschereibekämpfung am 26.09.2023 hat Daniel Thelesklaf (Leiter der Financial Intelligence Unit Deutschland) die Verbindungen des Finanzsektors zum Menschenhandel an drei Punkten festgemacht:
- Der Finanzsektor verwaltet Vermögenswerte aus moderner Sklaverei in Höhe von 150 Milliarden USD
- Der Sektor investiert in Unternehmen, die von moderner Sklaverei profitieren und muss dies aus einer ESG-Perspektive prüfen
- Banken können die Verwundbarkeit der Betroffenen reduzieren, wenn sie ihnen den Zugang zu Bankkonten ermöglichen. Daniel Thelesklaf hat darauf hingewiesen, dass es empirisch nachgewiesen ist, dass Menschen ohne Zugang zu Bankkonten stärker gefährdet sind, Opfer von Ausbeutung zu werden.
Quellen:
https://ec.europa.eu/eurostat/en/web/products-eurostat-news/w/ddn-20230208-2